Langzeit-Messungen zum Blutdruck und Herzschlag mittels Elektrokardiogramm (EKG) gehören zum Standard-Programm der medizinischen Versorgung. Da die Mobilität der Menschen ebenfalls ein aussagekräftiges Maß für Erkrankungen ist, sollen Messungen zu den Bewegungen im Alltag von Patienten bald ebenfalls ein Untersuchungs-Standard werden.
EU finanziert MOBILISE-D
„Dafür muss die Mobilität exakt messbar sein“, sagt Prof. Dr. Clemens Becker, Chefarzt der Abteilung für Altersmedizin und Geriatrische Rehabilitation am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK). Er ist wissenschaftlicher Leiter der klinischen Studie des Projekts MOBILISE-D, das die Europäische Union mit 50 Millionen Euro finanziert. Ziel ist es, mit Hilfe von Sensoren die Mobilität von Menschen so exakt zu messen, dass sie Grundlage für medizinische Entscheidungen sein kann.
Jede Bewegung im Alltag wird erfasst
Stuttgart, Barcelona, Athen – in insgesamt 15 Städten in ganz Europa werden in den kommenden zwei Jahren 2.400 Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern einen Gürtel mit einem Kästchen in Größe einer Streichholzschachtel tragen. Darin steckt digitale Technik, die Gehgeschwindigkeit, Schrittlängen und Gangunregelmäßigkeiten der Patienten präzise messen kann – sowie Auf- und Abwärtsbewegungen wie zum Beispiel beim Treppensteigen.
Betablocker mit negativen Auswirkungen
„Wir haben eine neue Messmethode entwickelt, die in Zukunft helfen kann, Diagnosen zu stellen, sich für bestimmte Therapien zu entscheiden und die Therapie zu überwachen“, erklärt Prof. Becker. Alter und Krankheiten verändern die Mobilität der Menschen, aber auch Therapien und Medikamente können großen Einfluss auf die Beweglichkeit nehmen. „Nimmt man zum Beispiel einen ACE-Hemmer gegen Bluthochdruck, läuft man nach drei Jahren in der Regel noch genauso gut. Bei einem Betablocker geht man etwa drei bis fünf Prozent langsamer“, weiß der Studienleiter von seinen Forschungen.
Messgerät individualisiert
Bislang gibt es aber keine ausreichend verlässlichen Mess-Möglichkeiten zur Mobilität in der Alltagswelt der Patienten. „Die gängigen Fitness-Armbänder und Uhren sind für medizinische Zwecke nicht genau genug“, betont Prof. Becker, der mit den anderen Teilnehmern des MOBILISE-D-Projekts mehr als ein Jahr lang verschiedene Sensoren und Algorithmen getestet hat. Daraus haben sie einen Algorithmus für ein Messgerät entwickelt. Dieses wird an einem Gürtel und in Höhe des fünften Lendenwirbels am Rücken, nahe dem Körperschwerpunkt, getragen.
Vier Krankheitsbilder im Focus
Mit der Technik können verlässlich und langfristig exakte Daten zur Mobilität und zu Bewegungsabläufen übermittelt werden. Die ausgewählten Patienten, es sind 2400 in Europa leiden an einem der vier Krankheitsbilder: Multiple Sklerose, der chronischen Lungenerkrankung COPD, Parkinson oder einer Hüftfraktur in Folge von Osteoporose.
Am RBK nehmen 200 Personen an der Studie teil
Zu letzter Gruppe gehören auch 200 Patienten, die Prof. Becker und das Robert-Bosch-Krankenhaus in den kommenden zwei Jahren begleiten werden. In Abständen von sechs Monaten werden sie für jeweils eine Woche das Messgerät Tag und Nacht tragen.
Wozu kann dieses Messverfahren nützlich sein? Stellt man damit beispielsweise bei Parkinson-Kranken eine Veränderung in der Mobilität fest, kommen andere Medikamente in Frage. Auch Folgen einer Gelenkoperation können so gemessen und bewertet werden. Vorausblickend können Mediziner mit dieser Messmethode das Risiko eines Herzinfarkts oder einer Verschlechterung des Lungenvolumens ermitteln und einige Erkrankungen frühzeitig erkennen.
Mehr Informationen: www.rbk.de