Herr Bader, seit wann sind Sie als „mobile Radiostation“ unterwegs in Alten- und Pflegeheimen? Wie kam es dazu?
Folker Bader während der "Sendung" in einem Seniorenheim |
Bader: Die meisten Senioren, die ich heute im Umkreis bediene, waren früher Hörer des damaligen Süddeutschen Rundfunks und damit sehr ähnlich geprägt. Der SDR bediente in seinem ersten Programm alle Interessen. Ein Familienradio, so kuschelig und vielseitig, das es so heute nicht mehr gibt. Oft zu jeder Stunde ein anderes Thema mit anderen Moderatoren für unterschiedliche Musikfreunde. So habe ich als Kind Radiohören als etwas Heimeliges und zugleich Spannendes empfunden. Diese Radiokultur von damals hat mich als Virus erfasst, von dem ich mich bis heute nicht erholt habe.
Ende der 1980er lernte ich den damaligen Abteilungsleiter Unterhaltungsmusik beim Süddeutschen Rundfunk, Hans-Günther Punz, kennen. Der brachte mir in seinem Kurs „Phänomene der Popularmusik“ an der Musikhochschule die Methodik der zielgruppengerechten Musikzusammenstellung im Hörfunk bei. Damals eine Wissenschaft für sich. Überdurchschnittliche Repertoirekenntnisse in der Musik waren selbstverständlich Voraussetzung.
Sie verließen den SDR dann aber...
Bader: Nach insgesamt 15 Berufsjahren bei verschiedenen Jugendwellen hatte ich genug Beschwerden im Ohr für die dort verordnete Popmusik. Und raten Sie mal, wer sich beschwert hat? Ausnahmslos ältere Herrschaften, die ihren Frust so ausdrückten: „Des isch doch koi Musik“…Emmer bloß älles für die Jonge…I könnt´ mein Radio grad zom Fenster naus schmeissa!“ (Wörtl. Zitat). Die Idee für das „Radio auf Rädern“ war geboren, ausschließlich für Seniorenheime, mit einem Musikangebot, das heute kaum mehr im Radio gespielt wird.
Ein Heimleiter in meiner Heimatstadt Böblingen fand 2003 Gefallen an dem Experiment für eine „Testsendung“ in seinem Haus: Mit nachhallendem Erfolg! Ein halbes Jahr später waren die ersten Programme „sendereif“ ausgearbeitet.
Wie lange dauert in der Regel Ihr „Auftritt“ und wie sieht die Programmplanung aus? Bader: Fast jeder Bewohner im Pflegeheim bringt andere Einschränkungen mit, die ich berücksichtigen möchte. Das sind unterschiedliche Voraussetzungen im Hören und Sehen, sowie ein steigender Anteil demenziell erkrankter Personen. All diese möchte ich mit meinem Angebot so erreichen, dass sie sich wohl fühlen und entspannen können. Um eine Überforderung zu vermeiden, sind die „Sendungen“ auf eine Stunde ausgelegt, und jede/r darf das Gebotene so ausleben, wie er/sie es empfindet und wie es auf ihn/sie wirkt, z.B. durch mitsingen, klatschen, tanzen, schunkeln oder wegnicken, was übrigens als ein sehr gutes Zeichen der Entspannung gilt.
Zur Planung suchen sich die Verantwortlichen im Heim aus meinem Programmangebot eine „Sendung“ aus. Bis zur Veranstaltung feile ich immer noch an Ablauf und Moderationstexten. Da bleibt viel Spielraum für Improvisation und Humor. Lebendige und präzise Artikulation sind wichtig, da ich ja nur „bewegungsarm“ hinter einem Tisch sitze.
Die Themenvielfalt meiner Programme orientiert sich sowohl am Jahreslauf als auch an Schwerpunktinhalten wie der besungenen Natur, beliebten Reisezielen oder dem weiten Feld der heimischen Volks- und Liebeslieder. Das Programm „Namen sind wie Schall“ geht Mädchennamen in alten Schlagern nach und erfreut nicht nur die Herzen der Damen, auch die Herren erinnern sich insgeheim an gleichnamige(?) Liebschaften hinterm Holderstrauch.
Moderieren Sie die Titel an, erzählen Sie etwa dazu?
Gibt es Lieblingslieder, die gut ankommen oder nachgefragt werden?
Bader: Nach wie vor ist das Volksliederarchiv, das Operetten- und Walzerarchiv, mit Künstlern wie Fritz Wunderlich oder Rudolf Schock rege nachgefragt und somit hochaktuell. Bei einer Kernhörerschaft der Altersklasse 80-95 das klassische Wunschrepertoire. In dieser Gruppe finden Sie ja noch viele Menschen der Vertriebenengeneration aus den früheren Ostgebieten. Die sehnen sich weiterhin nach der Klangkultur ihrer früheren Heimat. Da kommt es schon mal vor, dass so viel intensive Erinnerung zu einer Überdosis Sehnsucht nach der Kindheit und der alten Heimat führt.
Wenn es mal Tränen gibt, sind sie hinterher schnell getrocknet, und dann gibt´s immer einen festen und dankbaren Händedruck. Im Laufe der vergangenen 15 Jahre habe ich meine Inhalte nur ganz dezent der momentanen Hörerschaft angepasst. Künstler aus der ehemaligen DDR finden z. B. ebenfalls Berücksichtigung.
Zur Faschingszeit macht Folker Bader auch Gaudi |
Wie nehmen Ihre Zuhörer die Musik und Ihr Kommen an? Was kann Musik bei älteren und kranken Menschen bewegen?
Bader: Es gibt schon etliche Studien, wie und was Musik beim Menschen bewirkt. Ich bin weder Hirnforscher noch Psychologe. Aber, wo immer ich mit meinen „Sendungen“ auftrete: die Menschen lachen und freuen sich. Anscheinend werden Glückshormone freigesetzt. Es ist die anregende Wiederentdeckung der verlorenen Lieder aus der „Wundertüte Schallarchiv“, die diese Generation so glücklich macht. Mit meinem Angebot trete ich dem Verlust der alten, vertrauten Klangwelt entgegen. Alte Hörgewohnheiten reanimieren, Lust auf Vergangenes schaffen, Erinnerungen freilegen, dafür steht diese Idee.
„Mit Musik geht alles besser“, das Motto eines alten Schlagers beschreibt, wozu ich keinen Arzt oder Apotheker befragen muss: Musik beeinflusst die Stimmung positiv, ebenso das Befinden und die Seele. Im Bereich der Demenz gilt Musik als der Königsweg zur Beruhigung und zum Schlüssel zu aktivierter Lebensfreude, wenn man das Hier und Heute nicht mehr versteht. Das Singen und Lächeln als Zeichen empfundenen Glücks bei sonst nur noch als ausdrucks- und sprachlos wahrgenommenen Menschen, treibt mich an.
Hat sich durch Ihre Besuche in Altenheimen Ihre Einstellung zum Thema Alt werden, Lebensabend verändert?
Bader: Ich bin in einem Haus auf dem Dorf sozial strukturiert aufgewachsen; drei Generationen unter einem Dach. Das Zugehen auf betagte Menschen ist mir eigentlich nie schwergefallen. Im Gegenteil, hinter der Fassade des Alters steckt ein Mensch mit Lebenserfahrung und oft mit verstecktem Witz. Den heraus zu locken macht neugierig. „Ohne Humor wäre ich über vieles im Leben nicht hinweggekommen“, höre ich genau so oft wie: „Je älter man wird, desto schneller rast die Zeit“.
Gibt es Pläne für Ihre eigene Zukunft als Senior?
Bader: Nicht „auf ´s alt-werden warten, sondern drauf-zu-leben“, so möchte ich mein Leben weiter gestalten. Und dies möglichst lange zusammen mit meiner wunderbaren Frau. Das wäre mein größter Wunsch und ein Segen zugleich! Die zwei wichtigsten „G´s“, Gesundheit & Glück, inbegriffen. Sollte es anders kommen, ich selbst hätte vielleicht gar nicht so viel Angst vor einem Pflegeheim. Die äußeren Standards sind bei uns so gut wie sonst kaum auf der Welt. Die Herzkammer bildet aber das Personal, und ich wünsche mir empathie- und respektvoll umsorgt zu werden von Menschen mit Herzensbildung, gepaart mit Geduld und Zeit. Ob es die Politik schafft, die Attraktivität des Pflegeberufs mit den entsprechenden Parametern Gehalt und Arbeitszeit erfolgreich zu steigern, bleibt – wie lange eigentlich noch? – abzuwarten.
April 2018. Frank Bantle, Redaktion pflegeinfos.net
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