Montag, 25. Juni 2018

Die Hausengel bündeln ihre Pflege- und Betreuungsdienstleistungen nun in einer AG. Zwei Vorstandsmitglieder erklären die Hintergründe und Ziele der Firma

„Die Hausengel“ agieren seit 2005 auf dem deutschen Pflegemarkt. In den letzten Jahren haben sie sich zu einem der größten Anbieter im Bereich der ambulanten Fachpflege sowie Betreuung in häuslicher Gemeinschaft etabliert. Seit Anfang 2018 werden alle Aktivitäten unter dem Dach einer Aktiengesellschaft gebündelt. Ein eher ungewöhnlicher Schritt für Unternehmen im deutschen Gesundheits- und Pflegesystem.


Simon Wenz und Juliane Bohl, Pflegeexperten

Simon Wenz, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Hausengel Holding AG, sowie Juliane Bohl, Vorstandsmitglied der Hausengel Holding AG, erklären die Entwicklung des Unternehmens sowie die Besonderheiten der sogenannten „24-Stunden-Betreuung“:

Herr Wenz, Sie haben die Hausengel 2005 gegründet und sind seitdem sehr erfolgreich am Markt. Wie kam es dazu, dass Sie in so jungen Jahren ein Unternehmen im Bereich der Seniorenbetreuung gründeten?
Wenz: Das Hausengel-Konzept ist für mich eine sehr persönliche Herzensangelegenheit. Wie unzählige andere Familien standen meine Familie und ich damals plötzlich vor der Herausforderung, für meinen Großvater eine würdevolle Betreuung und Pflege im vertrauten, häuslichen Umfeld zu organisieren. Unsere persönliche Geschichte hat uns motiviert, unsere Erfahrungen und unser Wissen an alle Familien weiterzugeben, die in einer ähnlichen Lage nach kompetenten, liebevollen und bezahlbaren Hilfsangeboten suchen.

Und wie kam es nun zu der Gründung einer Aktiengesellschaft?
Bohl: Seit dieser Grundsteinlegung sind wir stetig gewachsen, wir haben sowohl die Bandbreite an Dienstleistungen wie auch die Standorte, an denen wir sie anbieten, deutlich ausgeweitet. Alles vereinen wir unter dem Hausengel-Dach: Von der ambulanten Pflege, mit mittlerweile knapp 10 Standorten, der häuslichen Versorgung in Form der sogenannten „24-Stunden-Betreuung“ sowie weiteren Projekten, wie beispielsweise der Gründung eines Generationenparks im Hausengel-Heimatort Ebsdorfergrund. Darüber hinaus zählen wir mittlerweile fast 300 festangestellte Mitarbeiter an 20 nationalen und internationalen Standorten. Die Gründung der Aktiengesellschaft ermöglicht uns, klarere Strukturen innerhalb unserer Holding sowie für die einzelnen Unternehmensbereiche zu schaffen. Das führt zu Synergieeffekten zwischen den einzelnen Unternehmen, Kostenreduktionen und einer Verdichtung der Angebote für Familien und Betreuungskräfte.

Bedeutet das eine Abkehr vom Familienunternehmen Hausengel?
Wenz: Nein, im Gegenteil. Durch die Gründung der Aktiengesellschaft wird die gesamte Unternehmensstruktur einfacher und deutlicher, es unterstreicht die Ernsthaftigkeit und die Dauerhaftigkeit unseres Unternehmens. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die vielen Gestaltungsmöglichkeiten, wie beispielsweise die problemlose Übertragbarkeit von Aktien und der Möglichkeit an die Börse zu gehen. An der Tradition, der Philosophie und den Werten eines Familienunternehmens wird sich dabei aber nichts ändern!

Warum lag Ihr Fokus schon immer auf Selbständigkeit der Betreuungskräfte? Damit stehen Sie in der Branche ja ziemlich alleine da?
Wenz: Ein wesentlicher Bestandteil der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft ist, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person lebt. Da jedoch auch Bereitschaftszeiten mindestlohnpflichtig sind, würden nicht nur enorme Kosten entstehen, im Angestelltenverhältnis ist diese Dienstleistung der Lebensrealität entsprechend kaum mehr legal umsetzbar. Selbst wenn die Betreuungskraft schläft, aber im Haus sein muss, wäre diese Zeit mit dem Mindestlohn zu vergüten – wer soll das bezahlen können? Außerdem würde nach neuester Rechtsprechung diese Zeit als reguläre Arbeitszeit gelten, so dass sich die gesetzlichen Ruhezeiten zwischen den Arbeitszeiten nicht mehr einhalten lassen.

Wie sehen das denn die osteuropäischen Betreuungskräfte?
Bohl: Auch diese wehren sich gegen die enge vertragliche Bindung, die dem Arbeitsrecht immanent ist. Sie wünschen sich flexible und jederzeit verhandelbare Vertragsbedingungen im Rahmen einer weisungsfreien Tätigkeit. Unser Nachbarland liefert hierfür den Beweis: Betreuungskräfte in Österreich können wählen, ob sie die Dienstleistung in Selbständigkeit oder im abhängigen Beschäftigungsverhältnis erbringen möchten. 95% entscheiden sich aus den genannten Gründen für die Selbständigkeit. Für mich ist es unumstritten, dass das Angestelltenverhältnis bei 24-Stunden-Bereitschaft für unter 5.000 Euro monatlich nicht legal möglich ist. Dabei ist es irrelevant, ob die Betreuungskraft in Deutschland oder im europäischen Ausland angestellt ist.

Aber ein Großteil dieser Dienstleistung wird doch über die Entsendung und damit mit angestellten Betreuungskräften erbracht?
Wenz: Es ist ein Irrglaube, dass jede entsandte Person auch angestellt ist. Die aus den osteuropäischen Ländern entsendeten Betreuungskräfte stehen in ihrem Heimatland meist nicht in einem Angestelltenverhältnis. Die meisten Betreuungskräfte sind in den Heimatländern über Auftragsverträge, also zivilrechtliche Verträge, beschäftigt. Das lässt sich am besten mit unserer „arbeitnehmerähnlichen Selbständigkeit“ vergleichen. Die Betreuungskräfte sind im Heimatland selbständig tätig, ihr Auftraggeber (der Entsender) entrichtet aber Pflichtabgaben an die Sozialversicherung. Hierbei handelt es sich oft auch nur um Mindestabgaben, die sich in einer Größenordnung von rund 20 € im Monat bewegen. Das ganze System der Entsendung ist für uns wenig transparent, daher haben wir uns schon immer auf die Selbständigkeit fokussiert.

Im letzten Jahr haben Sie dennoch damit geworben, nun auch Entsendung anzubieten. Wie passt das zusammen?
Bohl: Da es sich bei der in unserer Branche angewendeten Entsendung im Kern auch um Selbständigkeit der Betreuungskräfte handelt, fanden wir, dass die Entsendung von Selbständigen durchaus in unser Konzept passt. Wir wollten den Betreuungskräften außerdem die Wahl lassen, welches Modell sie selbst bevorzugen.

Nach nur einem Jahr stellen Sie die Entsendung nun wieder ein, woran liegt das?
Wenz: Im operativen Geschäft haben wir gemerkt, dass die Entsendung, so wie sie in unserer Branche betrieben wird, für uns nicht vertretbar ist. Der Entsendung liegt ein Provisionsgeschäft zugrunde, das zwischen deutschen Vermittlungsagenturen und osteuropäischen Entsendeunternehmen läuft. Innerhalb dieses Provisionsgeschäftes ist es üblich, dass das ausländische Entsendeunternehmen dem deutschen Vermittler zwischen 250 und 500 Euro monatliche Provision zahlt. selbst ankommt. Unser Ansatz ist bewusst ein anderer. Denn wir wissen, dass wir nur mit zufriedenen und guten Betreuungskräften nachhaltig erfolgreich sein werden. Und eins ist doch ganz offensichtlich: ohne das klassische Provisionsgeschäft kommt mehr Geld bei der Betreuungskraft selbst an, denn es fällt eine Schnittstelle, die ebenfalls verdienen möchte, weg. 


Daher rekrutieren Sie als einer der wenigen Anbieter Ihre Betreuungskräfte also auch selbst und arbeiten nicht mit einem Partner im Ausland zusammen.

 Bohl: Wir haben einen sehr hohen Qualitätsanspruch. Daher wollen wir die Auswahl geeigneter Betreuungskräfte nicht Dritten überlassen. Mit einer eigenen Struktur im Ausland lassen sich der eigene Qualitätsanspruch und eigene Qualitätssicherungsmaßnahmen einfacher und effektiver umsetzen. Auch die Aus- und Weiterbildung unserer Betreuungskräfte wollen wir an unserer eigenen Akademie verantworten, um auch in Sachen Qualifikation unserer Betreuungskräfte Standards im Markt zu setzen. Unsere eigene Unternehmensstruktur in Osteuropa erleichtert uns darüber hinaus die reibungslose und persönliche Kommunikation mit den Betreuungskräften in deren Heimatländern.

Neben der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft bieten Sie auch ambulante Fachpflege an. Auch das ist recht ungewöhnlich.Wenz: Unseren ersten ambulanten Pflegedienst haben wir vor über 10 Jahren gegründet. Zu dieser Zeit wollte sich kaum ein ambulanter Dienst mit unserer Branche auseinandersetzen. Wir wollten zeigen, dass es durchaus möglich ist, dass Pflegefachkräfte und Betreuungskräfte auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Im Lauf der Jahre haben wir gemerkt, dass genau diese Verzahnung von Fachpflege und Betreuung dem Wunsch der Kunden entspricht: Pflegebedürftige und ihre Familien wünschen sich eine bedarfsgerechte Rundum-Versorgung in den eigenen vier Wänden. Das kann ein ambulanter Dienst nicht alleine stemmen.

Wie sieht Ihre Lösung aus?
Bohl: Der Schulterschluss zur ambulanten Fachpflege ist uns sehr wichtig. Unsere Vision ist, dass Pflegedienste hier mehr Verantwortung übernehmen, damit Familien die Betreuung nicht alleine organisieren und verantworten müssen. So könnte beispielsweise ein Pflegedienst die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft für den Pflegebedürftigen organisieren. Die selbständige Betreuungskraft würde sich dann natürlich den Qualitätskriterien des jeweiligen ambulanten Dienstes unterwerfen. Damit würde sie auch der Qualitätsüberwachung des Dienstes (beispielsweise durch regelmäßige Pflegevisiten) unterliegen. Daher haben wir auch gemeinsam mit Springer Pflege ein E-Learning entwickelt, das inzwischen sogar als IHK-Ausbildung absolviert werden kann.

Im Zuge der AG-Gründung mussten Sie auch einen Aufsichtsrat gründen. Doch auch vorher hatten Sie schon einen Beirat für Ihr Unternehmen etabliert, wieso? 

Bohl: In allen Bereichen müssen grundlegende Entscheidungen mit großer Tragweite für das Unternehmen getroffen werden. Umso wichtiger ist es, für die verschiedenen Dienstleistungen einen Berater vom Fach zur Seite zu haben. Dies kann bspw. in Gesprächsrunden stattfinden, in denen wir uns mit anderen unternehmerisch denkenden und erfahrenen Persönlichkeiten austauschen. Der Beirat kann durch seinen von außen kommenden Rat Betriebsblindheit verhindern, neue Wege aufzeigen und das Risiko von Fehlentscheidungen verringern. Außerdem zwingt er uns, eigene Ideen vor anderen zu begründen, was erfolgreiche Konzepte fördert.

Was ist Ihr Plan für die Zukunft von Hausengel? 

Wenz: In Zei­ten, in denen tendenziell immer mehr Men­schen pfle­ge­be­dürf­tig werden, immer mehr Men­schen zu­hause ver­sorgt wer­den, aber auch immer mehr Men­schen al­leine leben und auf Hilfe vor Ort an­ge­wie­sen sind, ist es unser erklärtes Ziel, die re­gio­nale Pflege und Ver­sor­gung zu ver­bes­sern. Das bedeutet zum Beispiel den Aufbau von Netzwerken auf regionaler Ebene, Unterstützung strukturschwacher Gebiete und vor allem die Vernetzung aller an der Pflege Beteiligten.

Juni 2018. Redaktion pflegeinfos.net
Copyright Foto: PR




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