Montag, 18. August 2014

Kontinenzpflege könnte anders organisiert werden – zum Wohl der Betroffenen mit Inkontinenz und zu Gunsten der Sozialsysteme. Neue Studienergebnisse hier lesen

Inkontinenz ist eine Volkskrankheit. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl der Betroffenen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiterhin stark ansteigen. Unfreiwilliger Urinverlust hat nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität von Millionen Menschen, sondern er ist in vielen Fällen mit häuslicher Pflege und mit Kosten für die Gesellschaft verbunden. 

Durch eine bessere Organisation der Kontinenzpflege ließen sich die Würde der Betroffenen wahren und gleichzeitig Millionen für das Gesundheits- und Sozialsystem einsparen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, an der ein interdisziplinäres Team von Experten aus der ganzen Welt in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsberatung KPMG beteiligt war. Sie wurde im Frühjahr 2014 erstmals auf dem „5. Global Forum on Incontinence“ (GFI) in Madrid vorgestellt. Mehr über die Weiterbildungsplattform finden Interessierte in englischer Sprache hier: www.GFIforum.com. 

Über Inkontinenz muss man sprechen
Die Autoren der Studie erläutern, wie sich die Kontinenzpflege bestmöglich organisieren lässt und gleichzeitig Kosten in den Gesundheits- und Sozialsystemen gespart werden können. „Über Inkontinenz wird in der Öffentlichkeit immer noch zu wenig gesprochen und berichtet“, kritisierte Professor Dr. med. Adrian Wagg von der kanadischen Universität von Alberta. Unfreiwilliger Urinverlust sei mit einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität der Betroffenen und auch ihrer Pflegenden verbunden.

 „Obwohl es bereits eine Reihe von nationalen und internationalen Leitlinien gibt, wurde bisher kaum untersucht, wie inkontinente Menschen am besten gepflegt werden“, so der Experte. Die meisten Gesundheits- und Sozialsysteme stünden bereits heute unter enormem finanziellen Druck. Oftmals seien sie deshalb nicht in der Lage, Grundsätze für eine praktikable und nachhaltige Kontinenzpflege aufzustellen.

Damit Betroffene schnelle Hilfe und eine effektive Pflege erhalten, empfiehlt die Studie:


Klare Überweisungswege von der ersten Diagnose über die Einschätzung der Inkontinenz bis zur Behandlung zu definieren. 

• Die Beurteilung der Inkontinenz und die anschließende Behandlung sollte von einem Spezialisten durchgeführt werden, beispielsweise einem ausgebildeten Kontinenzberater oder der Pflegefachkraft eines ambulanten Pflegedienstes. 

• Es empfiehlt sich, dass Betroffene von Anfang an einen festen Ansprechpartner haben, der die Behandlung koordiniert und für ein reibungsloses Zusammenspiel aller Gesundheitsakteure sorgt. 

Auf diese Weise ließe sich eine schnell greifende und vor allem qualitativ hochwertige Pflege sicherstellen. Zudem könnten Kosten gespart werden, da doppelte Beratungs- und Behandlungsschritte vermieden werden. 

Infos über geeignete Kontinenzprodukte breit streuen
Genauso wichtig sei es, Betroffene und ihre Pflegenden mit Informationen zu versorgen, beispielsweise welche geeigneten Inkontinenz-Produkte verfügbar sind und wie ein individuell passendes Produkt ausgewählt wird.

Darüber hinaus empfehlen die Autoren auch im Bereich der Inkontinenzversorgung über den Einsatz von Telemedizin nachzudenken, beispielsweise wenn der Betroffene in einer ländlichen Region wohnt oder sich schämt, den Arzt aufzusuchen.

Nach aktuellen Studien ist die Kontinenzbetreuung älterer Menschen bei uns zu schlecht organisiert

„Obwohl die vorgelegten Studienergebnisse nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar sind, gehen von ihnen wichtige Impulse für die hiesige Kontinenzversorgung aus“, sagt Dr. Ralf Suhr, Vorstandvorsitzender der unabhängigen und gemeinnützigen Stiftung „Zentrum für Qualität in der Pflege“. Trotz der Existenz deutscher Fachstandards müssten die Versorgungsprozesse von Menschen mit Inkontinenz optimiert werden. Das Thema müsse in der pflegerischen Ausbildung und auch in der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Professionen an Bedeutung gewinnen.


Vorbild Niederlande: Geld sparen bei gleicher Qualität
Eine gesundheitsökonomische Studie der Erasmus Universität in Rotterdam belegt, dass das niederländische Gesundheitssystem durch einen verbesserten Pflegeansatz bei der Kontinenzpflege über einen Zeitraum von drei Jahren rund 14 Millionen Euro einsparen konnte. Darüber hinaus wurden der Gesellschaft nochmals 106 Millionen Euro eingespart. Der neue Ansatz wurde auf Betroffene über 65 Jahre angewendet, die unter mehreren Begleiterkrankungen litten.


„Beide Studien tragen dazu bei, dass wir die demografischen Herausforderungen unserer Gesellschaft meistern können“, sagte Professor Dr. Ian Milsom von der Universität Göteborg. Die „Grundsätze einer optimalen Kontinenzpflege“ würden es ermöglichen, bessere Serviceleistungen bereitzustellen, die Gesundheitssysteme zu entlasten und ein aktives Älterwerden zu unterstützen.


„Wir verbessern damit die Lebensqualität von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt“, so Professor Ian Milsom. „Darüber hinaus benötigen wir allerdings auch eine konzertierte Aufklärungs- und Informationsarbeit der beteiligten Akteure, um das Thema Inkontinenz in der öffentlichen Wahrnehmung stärker als bisher zu enttabuisieren“, ergänzte Dr. Ralf Suhr.


August 2014. Redaktion pflegeinfos.net
Copyright Foto: DAK-Gesundheit/fotolia

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